PERRY-RHODAN-Kommentar 2161


DIE »TERRANISCHE SPUR«


Langsam kann einem die Angelegenheit fast unheimlich werden. Obwohl Tradom und die Milchstraße fast 400 Millionen Lichtjahre voneinander entfernt sind und es »eigentlich« keinen Zusammenhang geben dürfte, finden sich mehr und mehr Hinweise, die nichts anderes als einen wie auch immer gearteten »terranischen Faktor« nahe legen.

Begonnen hatte es schon direkt nach der Öffnung des Sternenfensters im Hayok-Sternenarchipel. Vor dem Thoregon-Hintergrund mag das besondere Interesse der Inquisition der Vernunft an Terra auf den ersten Blick ja noch auf der Hand gelegen haben. Inzwischen wissen wir, dass es weit über diesen Hintergrund hinausgehen muss, soll Terra doch schonend erobert und keinesfalls vernichtet werden.

Der Konquestor Trah Rogue – sein Äußeres wie sein Auftreten – war der nächste Punkt, um zwischen Stirnrunzeln und Aufstöhnen zu schwanken. Ein »Riesenschimpanse«? Diese vermeintliche »Witzfigur«? Das kann und darf doch nicht wahr sein, mag mancher gedacht haben. Durchaus zu Recht – obwohl sich schon rasch erste Stimmen erhoben, die dahinter eine perfide Planung bis hin zum Kloning und gezielter genetischer Manipulation vermuteten. Wurde diese Körperform gezielt gewählt, eben in Kenntnis wie die menschlichen Reaktionen ausfallen würden? Die Untersuchung von Trah Rogues »Resten« hat jedenfalls Merkmale zutage gebracht, die eindeutig terranisch sind.

Damit nicht genug. Ebenfalls als terranisch klassifizierte Skelette verdichteten das, was sich unter dem Oberbegriff »terranische Spur« in recht vager Umschreibung zusammenfassen lässt. Von Chiru Euping war zu erfahren, dass die Datenbanken der Trümmerscouts viele Funde solcher Skelette aufweisen; Skelette, die ohne Zweifel mindestens mehrere Jahrtausende Jahre alt sind. Sie entstammen also einer Zeit, die auf einen Zusammenhang mit dem Lemurern hindeuten könnten.

Im ersten Moment hat diese Vermutung etwas ebenso Verführerisches wie Naheliegendes, schließlich verschlug es eine Flotte von 22.000 Lemur-Raumern sogar bis in den Mahlstrom der Sterne, weil das Gercksvira-Sonnenfünfeck in Andromeda offensichtlich nicht richtig arbeitete. Das Sternenfenster im Hayok-Sternenarchipel wurde exakt dort geöffnet, wo sich früher einmal ein lemurischer Sonnentransmitter befand.

Bei näherer Betrachtung stellen sich allerdings Zweifel ein. Die Benennung der Valenter-Typen orientiert sich nämlich ganz ohne Zweifel am terranischen und nicht am lemurischen Alphabet und ist somit ein weiteres Puzzelteilchen im Mosaik der »terranischen Spur«. Nehmen wir den Zeitpunkt des Untergangs der Thatrix-Zivilisation und des Aufstiegs des Reiches Tradom vor rund 160.000 Jahren hinzu, wird das Ganze noch verwirrender: Dazu passen weder Lemurer noch Terraner.

Die Untersuchungen des Rudimentsoldaten Minster Nai Fukati belegen dagegen wiederum den eindeutig terranischen Ursprung dieser offensichtlich in virto gezüchteten und entsetzlich manipulierten Geschöpfe. Trotz zweifellos gezielter Veränderungen im genetischen Kode stimmen immerhin noch rund 99 Prozent aller Informationen mit denen eines Menschen überein! Dass Minster Nai Fukati – und wohl nicht nur er – überdies an der Parkinson’schen Krankheit leidet und durch ein terranisches Dopamin-Präparat behandelt werden kann, unterstreicht das noch.

Bei der nach dem britischen Arzt James Parkinson (1755 bis 1824) benannten erblichen Schüttellähmung, der Paralysis agitans, auch idiopathischer Parkinsonismus, handelt es sich um eine genetisch bedingte Degeneration von Stammhirnbezirken mit den Anzeichen des extrapyramidalen Syndroms, die unter anderem zur starken Verlangsamung der Willkür- und Ausdrucksbewegungen (»Maskengesicht«) sowie zu Störungen des Muskeltonus und der Bewegungsabläufe führt. Zur Parkinson’schen Psyche gehören bestimmte Störungen des Gefühlslebens (besonders Depressionen) und des Antriebs (verminderte Spontaneität, Apathie) und eine Verminderung der intellektuellen Leistungsfähigkeit.

Auf Terra also schon lange bekannt, ist es ein Leichtes, dem Rudimentsoldaten »das Medikament« zu verabreichen, das dieser eigentlich als eins der großen Geheimnisse der Inquisition der Vernunft ansah. Und abermals Zweifel: Wie können die Rudimentsoldaten, allesamt In-vitro-Geschöpfe, von Terranern abstammen? Minster Nai Fukati weiß darauf ebenso wenig eine Antwort wie die Terraner selbst; seine Folgerung aus der Entdeckung jedoch ist eindeutig: »Ich werde nicht mehr gegen das Fleisch von meinem Fleisch kämpfen.«

Wie im Roman nachzulesen ist, haben sich die Herrscher Tradoms nicht mit einer genetischen oder paranormalen Konditionierung begnügt; sie scheinen sich also ihrer »Mitarbeiter« – besser wohl Sklaven! – nicht ganz sicher zu sein, zumal diese ja in maßgeblicher Funktion an Bord der AGLAZAR-Schlachtschiffe anzutreffen sind und darüber hinaus ein paranormales Machtpotenzial aufweisen, das mindestens ebenso erschreckend wie beachtlich ist.

Skelette, Valenter-Bezeichnungen, Konquestoren, Rudimentsoldaten – was kommt als Nächstes? Gibt es weitere Puzzleteilchen, die die »terranische Spur« belegen? Und wenn ja, wie sollen wir diese dann einordnen? Noch mag es niemand aussprechen, aber ein fürchterlicher Verdacht könnte einen beschleichen, wenn wir die bisherigen Indizien einmal ein bisschen extrapolieren – nämlich der Verdacht, dass auch die Inquisitoren Teil dieser Spur sind.

Kämpfen die Galaktiker im Reich Tradom also letztlich gegen »Terraner«? Womöglich in erneuter Bestätigung des uralten Ausspruchs, dass der größte Feind des Menschen stets der Mensch selbst ist? Einmal unterstellt, es sei wirklich so – die Ausgangsfrage bleibt dann dennoch unbeantwortet: Wie kamen Terraner nach Tradom? Oder muss die Frage ganz anders gestellt werden, weil wir den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen ...?

Rainer Castor