PERRY-RHODAN-Kommentar 2137


TRAUMATA


Niemand ist gegen Verletzungen gefeit. Weder gegen körperliche noch gegen seelische, zumal das eine in vielen Fällen auch das andere nach sich zieht oder damit einhergeht: Gemeint ist unter anderem das posttraumatische Stresssyndrom. Diese an sich triviale Grunderkenntnis trifft selbstverständlich die als »relativ unsterblich« umschriebenen Zellaktivatorträger in gleicher Weise.

Bei ihnen mögen die physische Belastbarkeit und das Regenerationsvermögen extrem gesteigert sein, so dass sie selbst Verwundungen überstehen, die »normale« Lebewesen unweigerlich umbringen würden. Die im Verlauf der Jahrhunderte gewachsene Lebenserfahrung hat natürlich Auswirkungen auf die Schock- und Stressbewältigung. Die Tatsache an sich, dass sie ebenfalls betroffen sind, bleibt davon jedoch unberührt.

Bis zu einem gewissen Grad ist es sogar so, dass bei ihnen, den Langlebigen, den nur durch gewaltsame Methoden Umzubringenden, die psychischen Aspekte eine noch viel größere Rolle spielen. Körperliche Wunden heilen durch die Zellaktivatoren beschleunigt und häufig sogar in einem Maß, wie es die natürliche Regeneration nicht gestattet. Das ist also nicht das Problem. Viel gravierender dagegen ist, was sich im Kopf, in der Seele und nicht zuletzt im Unterbewusstsein abspielt.

Die meisten der zur jetzigen »Unsterblichenriege« gehörenden Mitglieder können auf ein Jahrhunderte oder gar Jahrtausende umfassendes Leben zurückblicken. Das Gros dieser Zeit haben sie in körperlicher Unversehrtheit verlebt, in einem weder von Krankheiten noch von Verwundungen oder gar von Altersgebrechen heimgesuchten Leib, der die ganze Zeit über seine Jugendlichkeit und Leistungsfähigkeit bewahrte.

Was im ersten Moment als wahrer Glückfall erscheint – nicht umsonst gehört der Traum von der Unsterblichkeit, vom »Jungbrunnen« zu den ältesten nicht nur der Menschheit –, erweist sich bei näherer Betrachtung schon als Belastung an sich. Während nämlich alle in der Umgebung, alle Freunde, Bekannten, »Lebensabschnittspartner« altern und über kurz oder lang sterben müssen, leben die Unsterblichen in der vermeintlichen »Sicherheit«, nur durch Gewalt sterben zu können.

Ständiger Verlust begleitet also die Unsterblichkeit, der Verlust des Vertrauten, Geliebten. Es heißt zwar durchaus treffend, dass die Zeit alle Wunden heile, doch für einen Langlebigen kann und wird gerade die verstrichene Zeit ebenfalls zur Belastung. Leid, Schicksalsschläge und Traumata – mögen diese noch so gut verarbeitet sein – akkumulieren sich dennoch über Jahrzehnte, Jahrhunderte, Jahrtausende, wachsen zu einem Berg, türmen sich zu einem Gebirge auf ...

Die Frage dürfte also weniger sein, ob es irgendwann eine tief greifende Krise, einen Zusammenbruch gibt, sondern eher, wann es so weit ist, verbunden gleich mit der nächsten Frage, nämlich wie der Einzelne dann damit umgeht, wie er es bewältigt. Beim allerersten oder zweiten Mal mag der Mechanismus von Verdrängung ja helfen, dem schließlich auch die Unsterblichen unterliegen. Irgendwann jedoch hilft keine Verdrängung, kein Ignorieren mehr – und es ist sehr wahrscheinlich, dass dann der Damm vollends bricht, dass in Jahrhunderten Aufgestautes mit aller Urgewalt zuschlägt.

Atlan erlebte es, als er im Herbst 3561 schwer verletzt von einem Einsatz auf Karthago II zum Planeten Gäa in der Provcon-Faust zurückgebracht wurde. Während der Körper monatelang mit dem Tod rang, versuchte sich sein Verstand in einer Katharsis zu reinigen, indem er sich alles von der Seele redete, was bis dahin gesperrt, verdrängt oder scheinbar vergessen war. In einer verbalen Abreaktion stärkte sich durch diesen Abbau der großen inneren Belastung der Überlebenswillen des Arkoniden.

Ähnlich intensiv, bezogen auf die Dauer sogar deutlich länger war Mike Rhodans Rekonvaleszenzphase, nachdem die aus Shabazzas Konditionierungs-Chip hervorgegangenen Mikro-Maschinen auf rabiate Weise ausgeschaltet worden waren. Auch bei Rhodans Sohn kam zu der extremen körperlichen die seelische Belastung hinzu, hielt er sich doch zunächst in seinem von Shabazza beeinflussten Wahn weiterhin für »Torric, den Herrn der Zeiten«.

Im Gegensatz zu diesen beiden Beispielen haben Ronald Tekener und Julian Tifflor ihre »Krisen« zumindest nach außen hin besser überstanden. Tekeners Körper wurde 1289 NGZ für Monate künstlich am Leben gehalten, während sein Geist durch den Einsatz des IQ-Dimmers zerstört zu sein schien. Selbst mit ihren schwachen telepathischen Fähigkeiten fand die Kartanin Dao-Lin-H’ay zunächst keinen Zugang zu ihrem terranischen Lebensgefährten, aber es war zweifellos ihrer Hilfe zu verdanken, dass er sich letztlich doch erholte.

»Hand« Tifflor war Dank Zellaktivator und Upanischad-Ausbildung nach SEELENQUELLS Beeinflussung und Monkeys »finalem Rettungsschuss« recht schnell wieder genesen. Durch ausgedehnte Gespräche geholfen hatte ihm dabei vor allem Alaska Saedelaere, der nach langen Jahren als Pilot eines Virtuellen Schiffes in die Heimat zurückgekehrt war. Im Gegensatz zu manchem anderen war es ausgerechnet Tiff selbst gewesen, der Monkeys kompromissloses Vorgehen in jeder Hinsicht nachträglich gebilligt hatte.

Reginald Bull schließlich war ebenfalls gestorben – und reanimiert worden. Erst auf dem elektrischen Stuhl gebraten, dann mit einer Giftinjektion ins Jenseits befördert. Sein letzter Todeskampf war für ihn die schlimmste je gemachte Erfahrung gewesen. Sogar den Zellaktivator hatte er verflucht, weil sein Bestreben, das Gift zu neutralisieren, die Qual nur hinausgezögert hatte. Wie schon die Umschreibung »Mein Freund, der Tod« unterstrich, ging Yomanrils infinite Todesstrafe im Golkana-Gefängnis keineswegs spurlos an Bully vorüber.

Wie nun Gucky seine Erfahrung verkraftet, bleibt abzuwarten, denn auch er hat neben der körperlichen Verletzung ebenfalls das damit verbundene Trauma zu überwinden ...

Rainer Castor