PERRY-RHODAN-Kommentar 2073


DIE »BLUTHUNDE DES IMPERATORS«


Seit der Entstehung SEELENQUELLS haben sich die Ereignisse förmlich überschlagen. Daß Bostichs Entführung von Ertrus Reaktionen hervorrufen würde, war allen Beteiligten klar. Doch ob man wirklich damit gerechnet hat, daß es auf eine solche Eskalation hinausläuft, ist eine andere Frage. Zwar waren die entsprechenden Planungen für Gegenmaßnahmen vorhanden, aber als entscheidender Unsicherheitsfaktor erwies sich die negative Superintelligenz.

Mit der Inthronisierung des Roboters »Enzon da Bostich« als neuer Imperator Bostich II. wurde ein aus dem Zugriff SEELENQUELLS befreiter und an der Seite der Terraner auftretender Bostich I. für die Öffentlichkeit »unglaubwürdig«. Die fingierte Ermordung des Imperators diente sogar als »Grund« für die Kriegserklärung und den Angriff auf das Solsystem selbst.

Es kann angesichts der Geschwindigkeit dieser Aktion – der Aufmarsch im Orion-Delta-System begann schließlich vor der Kriegserklärung und basierte zweifellos auf genauen logistischen Planungen – davon ausgegangen werden, daß es sich um die Umsetzung eines Szenarios handelte, das Bostich I. schon vor SEELENQUELLS Entstehung ausarbeiten ließ. Eher unwahrscheinlich ist allerdings, daß es für die nahe Zukunft konkret zur Ausführung gelangt wäre, denn Bostich verfolgte im Gegensatz zu SEELENQUELL die »Salamitaktik« der kleinen Schritte.

Am 10. Februar 1304 NGZ verkünden nun Perry Rhodan und Bostich gemeinsam den »Pakt gegen SEELENQUELL«, weil sich die negative Superintelligenz nur bei breitester Unterstützung besiegen lassen wird – wenn überhaupt. Daß Bostich zu dieser Zusammenarbeit überhaupt bereit ist und bei erfolgreichem Vorgehen sogar den Abzug der kristallimperialistischen Verbände aus dem Solsystem zugesagt hat, läßt sich ausschließlich durch den für ihn »in Aussicht« gestellten Zellaktivator erklären. Immerhin war die relative Unsterblichkeit seit jeher sein geheimer Traum.

Aber ein unsterblicher Bostich? Für viele dürfte das zu Recht eine grauenvolle Vorstellung sein! Bis auf weiteres ist man allerdings auf den Arkoniden angewiesen – und ob Lotho Keraete die unverschämte Forderung überhaupt erfüllen wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. Bis dahin kommt es also zu einer Zusammenarbeit, selbst wenn diese dem altterranischen Ausspruch »den Teufel mit dem Beelzebub bekämpfen« ziemlich nahe kommen dürfte.

Bostich war für lange Zeit als Herrscher auf dem Kristallthron eine Marionette – und nachdem er sich »freigeschwommen« hatte, behielt er sein grundsätzliches Mißtrauen und traf entsprechende Vorkehrungen. SEELENQUELL mag viele Hände haben, die offiziellen Zugriffs- und Berechtigungs-Kodes werden inzwischen geändert sein – nicht aber jene Dinge, die ausschließlich Bostich allein bekannt sind. Die Hoffnung ist hierbei, daß für SEELENQUELL dieses Wissen mit Bostichs Befreiung ebenfalls verlorenging oder erst gar nicht im Detail erfaßt wurde.

Erster Ansatzpunkt für Bostich ist die Truppe der Kralasenen, mit deren Hilfe er bereits sein Marionetten-Dasein überwunden hatte: 1277 NGZ starb der alte Leiter der Tu-Ra-Cel, die zur Dachorganisation der Celista-Geheimdienste geworden war, eines unnatürlichen, auf Machtkämpfe zurückgehenden Todes. Damals wagte es Bostich erstmals offen, die Empfehlungen seiner »Ratgeber« und damit letztlich auch den Willen der Khasurnmeisterin Dimeria Ta-Senkara zu ignorieren.

Niemand widersprach, als er in eigener Herrlichkeit Sargor da Progeron zum neuen Leiter berief. Dieser hatte sich in Geheimgesprächen, in Erinnerung an die gemeinsame ARK SUMMIA-Zeit, aber auch aus persönlichem Ehrgeiz, von vornherein auf Bostichs Seite gestellt – war er doch inzwischen der mächtige und gefürchtete Anführer der Kralasenen geworden, die anfangs »nur« seine persönliche Garde stellten, ab etwa 1295 NGZ aber zu den »Bluthunden des Imperators« wurden, von denen sogar abgebrühte Celistas hinter vorgehaltener Hand sprachen.

Wer sich mit der arkonidischen Geschichte beschäftigt, weiß, daß die Kralasenen eine lange und durchaus wechselvolle »Tradition« haben. Ihre eigentlichen Ursprünge reichen bis in die Epoche der Archaischen Perioden zurück, als zwischen etwa 3000 und 3760 da Ark (entspricht etwa 16.885 bis 15.986 vor Christus) galaxisweite, aus dem galaktischen Zentrum hervorbrechende Hyperstürme nahezu die gesamte Hypertechnik lahmlegten und die Kontakte zwischen den Welten des Tai Ark’Tussan unterbanden.

Auch auf Gos’Rantons selbst, der Kristallwelt, die damals noch nicht ins System der Drei Welten umgruppiert war, herrschten nach dem Zusammenbruch der interstellaren Raumfahrt katastrophale Zustände. Die Chroniken zahlreicher Khasurn berichteten von Essoya-Aufständen, Speicher-Besatzern, Hungerkarawanen, Adel-Massakern, marodierenden Söldnertrupps und Plünderbanden jeglicher Coleur. Vor allem jene als »Kralasenen« bezeichneten Horden galten als die Schlimmsten – sie hatten ihren Namen von Kralas abgeleitet, der für Sturm und Stärke stehenden Inkarnation des She’Huhan-Wettergottes Tormana da Bargk.

In den folgenden Jahrhunderten und Jahrtausenden gab es immer wieder Arkoniden, die sich auf diese Kralasenen beriefen. Ihren eigentlichen »Ruf« erhielten sie allerdings, als in Atlans Jugendzeit einer der Mörder seines Vaters, der frühere Oberschaffungsmeister und spätere Blinde Sofgart, aus ihnen eine »Elitetruppe« machte, deren Hauptwelt Trumschvaar war (siehe ATLAN-Buch 18).

Auch spätere Imperatoren griffen auf diese Truppe zurück, gründeten sie neu, gliederten sie in die Celista-Geheimdienste ein oder verboten sie aus mannigfaltigen Gründen. Unter Sargor da Progeron und Bostich I. erlangten sie abermals Bedeutung – und wie die Ereignisse auf Trumschvaar zeigen, gelten sie weiterhin nicht umsonst als die Treuesten der Treuen.

Rainer Castor